Bruno Gironcoli
Artists who, by virtue of their dedication to art, are able to feel and influence their own life, especially through the art works they have created, have always interested me. And it is they who merit my special respect.
Bruno Gironcoli is one of them. The great silent, non-conforming figure of this decade.
Gironcoli : Context
Unteres Belvedere, 11. Juli 2013
Opening speech by Peter Noever
Als mich Agnes Husslein fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zur Ausstellungseröffnung zu sprechen, kam mir – bevor ich überhaupt antworten konnte – zuerst eine Begebenheit, ein Schlüsselerlebnis in den Sinn, das mich in einer besonderen Weise mit Bruno Gironcoli verbindet: Als Ausstellungskommissär kuratierte ich 1989 die Ausstellung „Land in Sicht“ – Österreichische Kunst im 20. Jahrhundert im „Mücarnok“ in Budapest.
In der Hektik der Vorbereitung dieser großen Ausstellung erhielt ich eines Tages einen Anruf aus Budapest, in dem man mir mitteilte, daß Gironcolis Skulptur, soeben im dortigen Museum angekommen sei – aufgrund ihrer Größe (sie war wesentlich größer geworden als mit dem Künstler ursprünglich vereinbart) es keine wie immer geartete Möglichkeit gäbe, diese durch die Museumstore in die vorgesehenen Ausstellungsräume zu schaffen.
Gironcolis riesiges Objekt lag nahezu bedrohlich vor dem Museum und es war klar ersichtlich daß dieses Stück Kunst nicht in die Innenräume der Budapester Kunsthalle hineinzubringen sein würde. Bei meinem anschließenden Gespräch mit Katalin Néray, der Direktorin machte ich geltend, daß Kunst „unbeugsam“ wäre – und daß diese eigens für Budapest geschaffene Skulptur, auch wenn ihre Abmessungen sich verändert hatten, in der Ausstellung gezeigt werden mußte.
Noch am gleichen Tag wurde begonnen, ein ziemlich großes Stück aus der nahezu 1m dicken Museumsmauer herauszutrennen – eine Vorgangsweise, die kaum ein anderer Museumsdirektor dieser Welt akzeptiert hätte.
Also, Agnes Husslein sagte ich zu, heute hier vor ihnen zu stehen, obzwar mir ihr Ansinnen, wieder in die Wiener Museumswelt einzutauchen, wenn auch nur für einen Augenblick, nicht so ganz geheuer war.
Die Dinge haben sich seit damals verändert, in gewisser Hinsicht dramatisch. Heute neigen wir auch im Kunstbetrieb dazu, demonstrativ politisch korrekt zu handeln und möglichst unauffällig zu bleiben.
Wach ist auch meine Erinnerung an den Meister und sein Atelier der von ihm geleiteten Bildhauerschule der Akademie der bildenden Künste in der Böcklinstrasse beim Wiener Prater – welches sehr eindrucksvoll die unverwechselbare Haltung des Künstlers demonstrierte. Durch die graue Atmosphäre, die dichte abweisende Staubdecke schimmert bei längerer Betrachtung allmählich die großangelegte Komposition, eine Art stilles Memorial. Inmitten terristisch und doch galaktisch erscheinender Zustände, inmitten dieser zugleich irdischen und ausserirdischen Figurationen, Strukturen – Prototypen einer neuen Spezies.
Was Gironcoli dort geschaffen hat, ist ein nicht wiederholbares Gesamtkunstwerk, das unvergleichlich mehr Aussagekraft über die Arbeit des Künstlers hat, als jeder Versuch einer Ausstellung.
Er schuf in jahrzehntelanger Arbeit, eine „Gegenwelt“, einen Raum der Freiheit, frei gehalten von den Versuchungen der Unfreiheit.
Durch die restlose Überfüllung dieses Riesenateliers, war es nicht mehr möglich, die Dinge für sich zu betrachten – bereits beim Eintreten war man inmitten der Skulptur. Keinem Kalkül, keiner Mode gehorchend schuf hier Bruno Gironcoli voller Unersättlichkeit und Maßlosigkeit sein zentrales, nicht mehr transportierbares Werk.
Seinem Auszug aus der Akademie fiel dieses dann zum Opfer.
Wenn heute viele der wichtigen Kunstwerke nicht aus freien Stücken sondern auf Nachfrage entstehen – kann man hingegen bei Gironcoli ohne Zögern feststellen, daß seine Werke ihre eigene Integrität bewahrt haben.
Es heißt, Gironcoli ist sich, seinem Erfolg selbst, im Weg gestanden. Ja, er war unberechenbar, unmäßig in seinen Forderungen. Er wußte um das Wesen der Kunst „daß die Kunst weder ein Gut wie jedes andere ist, noch sich Regeln oder Gesetzen unterordnet.“
Und wenn dies versucht wird, und das wird es immer, immer mit anderen Mitteln – beraubt sich die Kunst ihres ureigensten Eigensinns und ihrer wahren Bedeutung.
Gironcoli war sich darüber im klaren, wußte, daß die Kunst ausschließlich dann Gegenwelt sein kann, wenn sie sich nicht verrät. Dann und nur dann als wertvoll angesehen wird, wenn sie ihre Autonomie behauptet, sich die Freiheit nimmt, nicht mit den Interessen der Macht gemeinsame Sache zu machen.
Vielleicht noch eine letzte Anmerkung zu einem herausragendem Künstler unserer Zeit:
Wie kaum ein Anderer verkörpert Bruno Gironcoli die österreichische Seele. Und das verbindet ihn mit seinem Schüler Franz West – so unterschiedlich die Arbeiten in Material und Erscheinungsbild der beiden Bildhauer sein mögen – dieses besondere österreichische Wesensmerkmal: die konsequente Skurrilität, die in dieser Form nur in dieser Stadt in Erscheinung tritt.
Man denke nur an Gironcolis grosse, von mir soeben skizzierte Skulptur in der Bildhauerschule der Akademie, hier kreuzen sich Leben und Kunst zu essayistischen Gefügen.
Künstler, die durch ihre Hingabe zur Kunst ihr eigenes Leben, vor allem durch die von ihnen geschaffenen Kunstwerke, spüren und prägen – haben mich seit je interessiert, ihnen gilt mein besonderer Respekt. Bruno Gironcoli war einer von ihnen.